Zum Heiligen Abend 2020 in den Klostergemeinden

Er kommt aus seines Vaters Schoß und wird ein Kindlein klein. Er liegt dort elend, nackt und bloß, in einem Krippelein – in einem Krippelein. (EG 27,2 Lobt Gott, ihr Christen, alle gleich)
Liebe Gemeinde, einer vom himmlischen Heer sang falsch. Einer der Engel, die den Hirten die Nachricht von der Geburt des Gotteskindes brachten über den Feldern von Bethlehem. Hatte er nicht richtig zugehört oder die Chorproben im Himmel geschwänzt oder war er schon mit seinen Gedanken bei Maria im Stall gewesen? Er wusste es selbst nicht, wie es kam, warum er statt hoch tief sang und statt Höhe Tiefe. “Ehre sei Gott in der Tiefe“, schmetterte er laut und tief. Andere Engel neben ihm stießen ihn an, “Höhe“ flüsterten sie ihm zu: "Höhe, Höhe“. Er wusste nicht, warum. Aber als das Singen vorüber war, ging die Empörung los. Was ihm denn einfiele, so aus der Rolle zu fallen und dann noch so laut. “Ehre sei Gott in der Tiefe!"
Wer Gott sucht und wer ihn finden will, der fange nicht oben an, nicht im Himmel, hat Martin Luther einmal gesagt. Wer Gott sucht und wer ihn finden will, der fange unten an, im Stall und an der Krippe. Bei einem Kind: nackt, verletzbar, unscheinbar. So tief ist Gott heruntergekommen zu uns. Er hat sich von unten her in unser Leben, unsere Lebensgeschichte hereinbegeben. Ehre sei Gott in der Tiefe!
Gott bei uns in den Tiefen unseres Lebens. Der heruntergekommene Gott. Das ist die Botschaft des Heiligen Abends 2020. Er ist nah in den Tiefen der Krankheit und der Angst davor. Bei den beatmeten Patienten auf den Intensivstationen und bei den überforderten Ärzten und Pflegen-den. In der Enge, in die uns alle dieses Virus treibt: Es gibt fast nur noch dieses eine Thema; und auf den engsten Familienkreis sollen unsere Kontakte beschränkt bleiben. Gott selbst ist so verletzlich geworden, wie wir es gerade an uns und mit vielen anderen spüren. Das Kind in der Krippe, angewiesen auf den Schutz Gottes und die Hilfe anderer Menschen und der Engel.
Ganz auf dem Boden liegt das Jesuskind in der Darstellung auf dem Hochaltar unseres Münsters. Nicht mal eine Krippe! „… und liegt dort elend, nackt und bloß“, wie es in einem Weihnachtslied heißt. Zwei kleine Engel halten und hüten es. Maria und Josef schauen liebevoll her-unter auf ihren Sohn, den Sohn
Gottes. Josef hat eine Kerze angezündet. Was mich so begeistert an diesem Bild des Malers Hans Traut: Alle schauen nach unten, fast alle. Der Ochse zwischen den Eltern – nur der Esel blickt nach draußen, ein bisschen dumm. Die Hirten linsen durch das Fenster von hinten, so-gar die Engel blicken vom Himmel herunter. Ja, die Engel loben und preisen dieses Kind da unten – „Ehre sei Gott in der Tiefe!“ Sie haben es den armen Hirten verkündet: „Fürchtet euch nicht. Siehe ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird.“ Sie hüten und schützen das verletzliche Kind.
So ist Gott selbst nahe in unseren Tiefen, ganz unten. Dazu drei Bilder von heute und von unserer Zukunft: In Polen gibt es in einem Kloster einige positiv auf Covid 19 Getestete. Die Mönche sorgen sich umeinander. Aber sie begeistern sich in dieser Weihnachtszeit auch für Bergleute in ihrer Nähe, im Bergwerk Wieliczka. So sehen sie über die Infektionen und ihre Sorgen hinaus. Die Bergleute haben in über 300 Metern Tiefe eine riesige Salzkathedrale ausgehauen. Für die Mönche ist das wie eine Engelsbotschaft aus geerdeter Frömmigkeit, unter- und überirdisch in einem: „Das Leben ist mehr als nur harte Arbeit. Es braucht auch Schönheit und Andacht“, sagen sie – auch tief unter der Erde.
In Nürnberg schaut der Psychotherapeut Bernd Deininger nach innen, in unsere Seele. Er sieht, wie jede und jeder einzelne durch die Nähe des Kindes zu sich selbst finden kann: „Die Menschwerdung Gottes, des Unbeschreibbaren, der alles trägt, macht uns Mut, unsere Ängste anzuschauen. Wer bereit ist, seine Gefühle zuzulassen, der zeigt sich berührbar, verletzbar – und wird so heilbar.“ Ja, heilbar von Enge und Angst in der Seele. Hoffnungsvoll und heilbar auch dort, wo einem die Krankheit ganz nah auf den Leib rückt.
Schließlich das große Hoffnungsbild der Engel im Neuen Testament: Dieses verletzbare, nackte Jesuskind war bald nach seiner Geburt in extremer Lebensgefahr, als der König Herodes alle neugeborenen Jungen umbringen ließ. Er ist ihr entflohen mit Josef und Maria. Aber als Jesus 30 war, haben die Menschen ihn ans Kreuz genagelt. Und Gott hat ihn aus der Tiefe des Todes geholt. Die Engel, die das nackte Kind in unserem Weihnachtsbild auf dem Boden halten und hüten, von oben her ansehen und verkündigen, das sind auch die Engel der Auferstehung Jesu. Sie sitzen in seinem leeren Grab und verkündigen: „Er ist nicht hier. Er hat den Tod überwunden.“ Von denen singt auch der große Schlusschoral von Bachs Matthäuspassion: „Ach Herr, lass dein lieb Engelein an meinem End die Seele mein in Abrahams Schoß tragen. … Alsdann vom Tod erwecke mich, dass meine Augen sehen dich in aller Freud, o Gottes Sohn, mein Heiland und mein Gnadenthron. Herr Jesu Christ, erhöre mich, erhöre mich. Ich will dich preisen ewiglich.“
So tragen und behüten und begleiten sie dich und mich im Leben und darüber hinaus von der Krippe zum Himmel: der in die Tiefe heruntergekommene, verletzliche Gott und seine Engel.
Euer und Ihr Ulrich Schindler
Er wechselt mit uns wunderlich – Fleisch und Blut nimmt er an – und gibt uns in seins Vaters Reich die klare Gottheit dran, die klare Gottheit dran.
Er wird ein Knecht und ich ein Herr, das mag ein Wechsel sein. Wie könnt es doch sein freundlicher, das herze Jesulein – das herze Jesulein.
Heut schließt er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis. Der Engel steht nicht mehr davor, Gott sei Lob Ehr und Preis – Gott sei Lob Ehr und Preis

(EG 27, 4-6)